Bild: Marco Urban 40 Jahre nach Willy Brandts Kniefall in Warschau hat der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel die Entspannungspolitik Brandts als entscheidenden Schritt zur friedlichen Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas bezeichnet. Zugleich fordert er in seiner Rede, der Europäischen Idee mit einer neuen Entspannungspolitik Fortschritt zu verleihen.
Als eine „politische Ikone des 20.Jahrhunderts“ bezeichnet der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel Willy Brandts Kniefall am 7. Dezember 1970 in Warschau. Das Bild eines knieenden Bundeskanzlers am Ehrenmal für die Opfer des Aufstands im jüdischen Ghetto von 1943 habe sich „für immer in das kollektive Gedächtnis Deutschlands fest eingebrannt“. Brandt selbst musste als junger Sozialdemokrat und Widerstandskämpfer vor der Nazi-Barbarei fliehen.
Gabriel erinnert daran, dass diese Geste, die als Eingeständnis historischer Schuld gedeutet wurde, damals kontrovers diskutiert wurde. So warf die christdemokratische Opposition Brandt einen Ausverkauf deutscher Interessen und Landesvorrat vor.
Kniefall ist eine politische Ikone des 20. Jahrhunderts
Heute gibt es keine Kontroversen mehr über den Kniefall. Kein anderes Zeichen symbolisiert so sehr den Aufbruch zu Entspannung, Abrüstung und Frieden mit Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion, sagt Gabriel. „Wir Sozialdemokraten wissen: Es war Willy-Brandts Entspannungspolitik – als Berliner Bürgermeister, als Außenminister und schließlich als Kanzler der Ostpolitik -, welche die Blockkonfrontation schrittweise aufgeweicht hat und damit auch den Weg zur deutschen Einheit vorbereitet hat.“
Zugleich dankt er Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher, deren „historischer Verdienst“ bleibe, 1989 und 1990 die historische Stunde mutig zur Wiedervereinigung genutzt zu haben. Politische Voraussetzung dafür war allerdings, dass Helmut Kohl seit 1982 im Kanzleramt gegen manchen Widerstand in seiner Partei die sozialdemokratische Entspannungspolitik von Willy Brandt, Egon Bahr und Helmut Schmidt fortsetzte.
Neue Entspannungspolitik notwendig
Der SPD-Vorsitzende fordert, diese „Politik der ausgestreckten Hand, eine Politik der Aussöhnung, des Wandels durch Annäherung“ mutig fortzusetzen. Insbesondere Russland, die Ukraine und die ehemaligen Sowjetrepubliken müssten zukünftig stärker partnerschaftlich einbezogen werden. Für Gabriel steht fest: War der Motor der europäischen Einigung über Jahrzehnte das Verhältnis von Deutschland und Frankreich, so ist europäischer Fortschritt heute nur mit Polen zu erreichen.
Zudem brauche Europa eine enge Anbindung der Mittelmeerregion und ein enges Kooperationsnetz mit den neuen „Großen“: China, Indien, Brasilien und Südafrika.
Für eine gemeinsame Finanz- Wirtschafts- und Sozialpolitik
Der SPD-Vorsitzende appelliert, angesichts der derzeitigen Phase der Re-Nationalisierung, der Europäischen Idee neuen Fortschritt zu verleihen. Er kritisiert die Bundesregierung, statt gemeinsam die Ursachen der aktuellen Finanz- und Währungskrise in den unverantwortlichen Entwicklungen europäischer Banken anzugehen, die europäischen Mitgliedsstaaten in einen „Sparwettlauf“ gegen die eigenen Bürgerinnen und Bürger zu zwingen. Gabriel warnt, dass ein Währungsraum ohne gemeinsame Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik auf Dauer nicht überlebensfähig ist. Gerade Irland zeige, „wohin es führt, wenn wir in Europa den Dumpingwettbewerb um niedrige Steuern und niedrige Sozialausgaben weiter führen“.
Auch fordert der SPD-Vorsitzende ein Umdenken beim Einsatz der aktuellen Rettungsschirme: Diese sollten nicht länger dazu dienen, marode Bankbilanzen immer wieder aufs Neue abzudecken und hinterher die Bürger die Zeche zahlen zu lassen. Gabriel zeigt sich überzeugt, dass Europa nur noch die Auswahl zwischen dem „Biss in einen der verschiedenen sauren Äpfel“ hat. „Wir werden die Abwicklung einzelner europäischer Banken mit allen Folgen für ihre Geldgeber aktiv angehen müssen, um eine dauerhafte Zerstörung des Währungsraums zu verhindern.“ Mehr denn je sei eine gemeinsame Finanz- Wirtschafts- und Sozialpolitik notwendig.
Modernisierungspartnerschaft mit Russland
Aber auch in der europäischen und deutschen Außenpolitik sieht der SPD-Vorsitzende neue Aufgaben: Eindringlich wirbt er für eine Modernisierungspartnerschaft mit Russland um eine „neue europäische Sicherheitsarchitektur“ aufbauen zu können. Ziel müsse ein atomwaffen- und massenvernichtungswaffenfreies Europa sein. „Ich glaube, dass Deutschland und Polen ein gemeinsames Kraftzentrum zur Gestaltung des Verhältnisses zu Russland sein können und müssen.“
Türkei braucht faire Beitrittsverhandlungen
Auch gelte es, der Türkei die fairen Beitrittsverhandlungen zu geben, „die wir seit Jahrzehnten versprechen“. Wenn die EU zeige, dass ein Land mit einer islamischen Mehrheitsbevölkerung genauso selbstverständlich Mitglied werden kann, wie jedes andere Land, dass die notwendigen Kriterien erfüllt, „leistet sie einen entscheidenden Beitrag zum Weltfrieden im 21. Jahrhundert“.
„Internationaler Willy Brandt-Preis“ ausgelobt
Gabriel kündigte an, dass die SPD künftig jedes Jahr einen „Internationalen Willy-Brandt-Preis“ verleihen wird. Dieser Preis soll Personen oder Organisationen auszeichnen, die in besonderer und innovativer Weise für internationale Verständigung eintreten. Der SPD-Vorsitzende dankte den Stiftern des mit 25.000 Euro dotierten Preises: Den Familien des ehemaligen Bundeskanzlers und SPD-Vorsitzenden Gerhard Schröder und seiner Frau Doris Schröder-Köpf sowie Gabriele und Michael Frenzel aus Hannover. Den Vorsitz der Jury wird Egon Bahr, langjähriger Weggefährte Willy Brandts, übernehmen.